Prof. Schneider zu regionalen Disparitäten | 01.04.2019„Nicht alle können alles haben“
Beim aktuellen politischen Bemühen um die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland stellt sich die Frage nach den richtigen Leitideen, schreibt der Direktor des BiB Prof. Dr. Norbert F. Schneider in seinem Beitrag für die Zeitung „Die Welt“. Vor dem Hintergrund offenkundig auseinanderdriftender Regionen Deutschlands hinsichtlich der Wirtschaft und Infrastruktur diskutiert der Soziologe in dem Beitrag die Ursachen dieser Entwicklung und mögliche politische Lösungsansätze.
BiB-Direktor Prof. Dr. Norbert F. Schneider
Quelle: BiB
Dabei stellt er klar, dass die Gründe für regionale Disparitäten nicht einfach in Ost-West- oder Stadt-Land-Kontrasten resultieren. Der Eindruck könnte zwar entstehen, da sich die Mehrzahl strukturschwacher Regionen momentan auf dem Land und häufiger in Ostdeutschland befindet. Dem widersprechen aber zahlreiche Beispiele mit einem Nebeneinander von florierenden und zurückfallenden Regionen selbst innerhalb von Städten und Landkreisen.
Regionale und zugleich demografische Disparitäten
Daher müssen die Gründe tiefer liegen: Eine zentrale Rolle spielen neben klimatischen und topographischen Merkmalen des Raumes vor allem die wirtschaftliche Situation und die vorhandene Infrastruktur. Hinzu kommen das Engagement der Bewohner und deren Entschlossenheit, Angebote vor Ort wahrzunehmen und zu entwickeln. Erschwert wird die Situation allerdings durch das Nebeneinander von regionalen und demografischen Disparitäten, etwa durch den Wegzug junger, gut ausgebildeter Menschen aus einer Region und gleichzeitig ausgleichende Zuwanderung.
Wie können regionale Unterschiede adäquat gemessen und bewertet werden?
Damit die Politik problembezogen reagieren kann, bedarf es objektiver Indikatoren der Messung, zum Beispiel zur Infrastruktur, zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur Bevölkerungsentwicklung. Hier kritisiert Prof. Schneider die bisherige „Auswahl der Indikatoren“, die oftmals nach „Verfügbarkeit und nicht problembezogen“ gewählt werden. Zudem wird damit die „Bedeutung der subjektiven Wahrnehmung durch die Menschen“ vernachlässigt. Um Räume vergleichen zu können, ist somit eine Abkehr von einer rein verwaltungsbezogenen Perspektive nötig. Vielmehr gilt es, die Aktionsräume der Bürgerinnen und Bürger in den Vergleich mit einzubeziehen und Daten vor Ort zu generieren sowie zu bewerten.
Was ist (politisch) zu tun?
Um mit räumlichen Ungleichgewichten adäquat umgehen zu können und gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland zu schaffen, plädiert der Beitrag für eine Förderung der „Profilbildung der Räume“. „Nicht alle können alles haben“, daher muss eine „ortssensitive Strategie“ die optimale Nutzung der jeweiligen Stärken einer Region unterstützen. Dabei ist klar, dass das Erfolgsmodell einer Region jeweils vor Ort angepasst werden muss und nicht einfach übertragen werden kann. Es muss vor allem darum gehen, durch selbst initiierte Profilbildung den Wettbewerb zwischen den Regionen zu stärken, um mehr Lebenschancen und -qualität für eine immer vielfältiger strukturierte Bevölkerung zu schaffen. Damit rückt aus politischer Sicht weniger die Verteilungsgerechtigkeit als vielmehr das „Ziel der Sicherstellung von Chancengleichheit“ in den Mittelpunkt der Diskussion.