DGD-Jahrestagung 2019Aktuelle Panelumfragen des BiB – Entwicklungen und Potenziale
Bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Demographie (DGD) vom 13. bis 15. März 2019 zum Thema „Regionale und sozialstrukturelle Disparitäten – Indikatoren und Befunde“ beteiligte sich das BiB mit zahlreichen Vorträgen und Sessions. Dabei führte das Institut eine Veranstaltung zu seinen vier aktuellen Panelumfragen durch. Abgerundet wurde die Konferenz mit einer Podiumsdiskussion. Im Zentrum stand die Frage, wie sich gleichwertige Lebensverhältnisse in Zeiten starken demografischen Wandels herstellen lassen. Diskutiert wurde auch darüber, ob dieses Ziel überhaupt erstrebenswert ist. Der Beitrag gibt zunächst einen Überblick über die Vorträge aus dem BiB und widmet sich dann den zentralen Ergebnissen der Diskussion.
- Welche Analysepotenziale bieten die Panelumfragen des BiB?
- Weitere Vorträge
- Für immer in der Teilzeitfalle?
- Immer länger arbeiten? Erwerbsbeteiligung und Alterung
- Absicht und Realisierung von bürgerschaftlichem Engagement
- Wirkt sich die Mietpreisentwicklung auf die Binnenwanderung aus?
- Benötigt Deutschland ein neues Reproduktionsmedizingesetz?
- Erste Bilanz des Mortalitäts-Follow-Up der NAKO Gesundheitsstudie
- Diskussion: Die Zukunft der Regionen im demografischen Wandel
- Wie lassen sich räumliche Disparitäten besser erforschen ?
Welche Analysepotenziale bieten die Panelumfragen des BiB?
Arbeitsmarktbeteiligung beim Übergang ins Rentenalter
Dr. Andreas Mergenthaler gab in der Session „Demografische und Gesellschaftliche Entwicklungen I“ zunächst einen Überblick über den theoretischen Ansatz, das Studiendesign sowie das Analysepotenzial der beiden ersten Wellen der BiB-Studie „Transitions and Old Age Potential: Übergänge und Alternspotenziale (TOP)“. Im Mittelpunkt des Surveys stehen dabei die Übergänge der Jahrgänge 1942 bis 1958 in den Ruhestand sowie die Potenziale älterer Erwachsener am Arbeitsmarkt, in der Zivilgesellschaft und in der Familie. Die dazugehörigen Daten können seit Dezember 2018 als Scientific Use File bei GESIS unter der Studiennummer ZA6597 bezogen werden.
Paarperspektive neu in der TOP-Studie
Ins Detail gingen Dr. Laura Konzelmann und Dr. Andreas Mergenthaler dann mit der Vorstellung konzeptioneller und methodischer Ansätze der BiB-Studie vor der dritten Erhebungswelle. Diese soll im zweiten Quartal 2019 ins Feld gehen. Das Studiendesign von TOP wird in der dritten Welle um eine dyadische Perspektive der Paarkonstellationen beim gemeinsamen Übergang in den Ruhestand erweitert, betonte Dr. Konzelmann. Dabei soll unter anderem gefragt werden, wie der Ruhestandsübergang zwischen den Lebenspartnern koordiniert wird. „Dazu kommt die Frage, wie wichtig es älteren Menschen in Deutschland ist, gemeinsam mit der Partnerin beziehungsweise dem Partner in den Ruhestand zu gehen“, ergänzte sie.
Familienleitbilder in Deutschland und Ungarn
Wie sich Vorstellungen zu Elternschaft in Deutschland und Ungarn unterscheiden, zeigte Anna Dechant auf der Basis der BiB-Studie zu Familienleitbildern. Sie stellte dazu grundsätzliche Methoden und Inhalte der Familienleitbildforschung am BiB vor. In Ungarn und Deutschland lassen sich unterschiedliche Leitbilder von Elternschaft finden. Im Vergleich zu deutschen Befragten betonen ungarische häufiger, dass Eltern ihre Bedürfnisse komplett zurückstellen müssten, dass mütterliche Betreuung für Kleinkinder das Beste sei und dass Kleinkinder unter institutioneller Kinderbetreuung litten.
Anna Dechant betonte, dass die festgestellten Unterschiede in den vorherrschenden Leitbildern zwischen beiden Ländern auf die Notwendigkeit einer kulturellen Perspektive verweisen, um die Gestaltung des Familienlebens, den Wandel beziehungsweise den Fortbestand von Verhaltensmustern und deren Unterschiedlichkeit im internationalen Vergleich zu verstehen.
Das GGP „Push-to-Web“-Experiment in Deutschland
Robert Naderi stellte ein Online-Befragungsexperiment im Rahmen des GGP vor.
Quelle: BiB
Wie lässt sich das Problem sinkender Teilnahmebereitschaft insbesondere bei Längsschnitt-Bevölkerungsumfragen lösen und die Kosten solcher Befragungen reduzieren? Als ein Ansatz wird hier vermehrt die Onlinebefragung ins Spiel gebracht, die deutlich kostengünstiger ist, aber bisher nicht den gleichen Grad an Repräsentativität wie klassische interviewergesteuerte Befragungen erreicht. Unter anderem mit diesen Fragen befasst sich ein Forscherteam im Rahmen eines von der Europäischen Kommission (Horizon 2020) geförderten Projekts. Hierzu wird der ursprünglich für interviewergesteuerte Befragungen (CAPI) konzipierte Generations and Gender Survey-Fragebogen (GGS) zunächst in eine Online-Version umgewandelt. Die Besonderheit des GGS ist, dass er für eine Online-Befragung ausgesprochen umfangreich ist. Neben der Teilnahmebereitschaft sind folgende Punkte von besonderer Bedeutung: die Beobachtung von Abbrüchen, da es sich um eine Längsschnittstudie handelt, die Bereitschaft zur erneuten Befragung und selbstverständlich die Datenqualität.
Die Studie wurde in vergleichbarer Konzeption in Deutschland, Portugal und Kroatien durchgeführt. Eine Vergleichsgruppe wurde ausschließlich per Interview befragt, bei einer anderen Gruppe wurde versucht diese dahingehend zu bewegen, den Fragebogen alleine im Internet auszufüllen („push-to-web“). Diejenigen, die das Ausfüllen im Internet abgelehnt hatten, sollten möglichst von Interviewern befragt werden. In Deutschland gab es die Besonderheit, dass im Experiment noch verschiedene Untergruppen gebildet wurden: An ihnen wurden verschiedene Arten der Bezahlung getestet (vor und/oder nach der Befragung oder die Höhe des Betrags variierend).
Robert Naderi stellte hierzu auf der Tagung erste Ergebnisse für Deutschland vor. Die Kombination aus Befragungsmodus und finanziellem Anreiz (Incentive) scheint sich durchaus auf die Bereitschaft zur Teilnahme auszuwirken. Außerdem sind bei einer Bezahlung von 5 Euro vor und 25 Euro nach der vollständig ausgefüllten Befragung die Abbrüche deutlich niedriger als in anderen Varianten. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass auch die Teilnahmebereitschaft bei der Onlinebefragung gesteigert werden kann. Damit kann trotz der hohen Bezahlung eine Kostenreduktion erreicht werden. Darüber hinaus können durch diese Strategie auch mehr Personengruppen erreicht werden, die bei klassischen Befragungsmethoden manchmal unterrepräsentiert sind. Das Problem, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen abhängig vom Befragungsmodus über- beziehungsweise unterrepräsentiert sind, kann man grundsätzlich festhalten. Onlinebefragungen sind davon etwas häufiger betroffen.
Individuelle Folgen von Auswanderung: das GERPS-Projekt am BiB
Nils Witte stellte das GERPS-Projekt zur Auswanderung vor.
Quelle: BiB
Welche individuellen Konsequenzen hat der Entschluss auszuwandern für den weiteren Lebenslauf? Wirken sich kurz- oder längerfristige Auslandsaufenthalte auf den beruflichen Erfolg aus? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Studie „German Emigration and Remigration Panel Study (GERPS)“ am BiB.
In seinem Vortrag berichtete Nils Witte (PhD) über die Ziele und das Design der Studie, die in Kooperation mit der Universität Duisburg-Essen durchgeführt wird. Das Projekt untersucht die individuellen Konsequenzen internationaler Migration entlang von vier zentralen Dimensionen des Lebensverlaufs, erläuterte der Soziologe. Dazu zählen Erwerbstätigkeit und Einkommen, Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit, Partnerschaft und Familie sowie soziale Beziehungen und gesellschaftliche Partizipation. Dabei werden die Konsequenzen der Mobilität unter anderem durch den Vergleich mit der nicht-mobilen Bevölkerung der Herkunftsgesellschaft untersucht.
Ermöglicht wird dies durch die Kompatibilität mit dem Sozio-ökonomischen Panel (SOEP). Insgesamt bietet das innovative Studiendesign mit einem Sample von rund 11.000 Teilnehmern in der ersten Welle die Basis für eine umfassende Erforschung der individuellen Ursachen und Konsequenzen von Migration, betonte Witte. Erste Ergebnisse werden im Herbst dieses Jahres auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Ein Scientific Use File soll der wissenschaftlichen Community Anfang 2020 zur Verfügung gestellt werden.
Weitere Vorträge
Für immer in der Teilzeitfalle?
Im Rahmen der Session „Demografische und gesellschaftliche Entwicklungen“ präsentierte Dr. Uta Brehm eine laufende Arbeit zu den Hintergründen der sogenannten „Teilzeitfalle“ – also die Beobachtung, dass Mütter nach der Kinderbetreuungsphase oft in Teilzeiterwerbstätigkeit zurückkehren und dadurch langfristig negative Folgen in Kauf nehmen. „Die Konsequenzen sind bekannt: Mütter müssen mit einer flacheren Einkommensentwicklung, geringeren Aufstiegschancen und niedrigeren Rentenansprüchen rechnen“, betonte sie. „Was wir nicht wissen, ist, wie viele Mütter tatsächlich langfristig in Teilzeit bleiben und wie sich dieses Verhalten angesichts der vielen familienpolitischen Maßnahmen entwickelt hat, die Frauen stärker in den Beruf zurückführen wollten.“
Ihre Analysen auf der Basis von SOEP-Daten zeigen dabei, dass nur etwas mehr als die Hälfte der Mütter langfristig von Teil- auf Vollzeit aufstocken. „Paradoxerweise passiert dies nach der Elterngeldreform 2007 langsamer als zuvor, insbesondere nicht in den ersten Jahren nach dem Wiedereinstieg“, analysierte Dr. Brehm. Erste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Neigung, Vollzeit zu arbeiten, gesunken ist, obwohl sich die Möglichkeiten dafür verbessert haben, zum Beispiel durch den Ausbau der Ganztags-Kindertagesstätten. Sie konstatiert, dass weitere Forschung zu diesem Sachverhalt dringend notwendig ist, um dieses Verhalten zu verstehen.
Immer länger arbeiten? Erwerbsbeteiligung und Alterung
Wie hat sich die durchschnittliche Länge eines Arbeitslebens in Deutschland in den vergangenen Jahren entwickelt? Angesichts der Debatte um einen späteren Austritt aus dem Erwerbsleben mit dem Ziel, die Konsequenzen der demografischen Alterung für die sozialen Sicherungssysteme abzumildern, analysierten Dr. Elke Loichinger, Dr. Sebastian Klüsener und Harun Sulak (alle BiB) zusammen mit Dr. Christian Dudel (Max-Planck-Institut für demografische Forschung) auf der Grundlage von Daten des Mikrozensus Trends für die Dauer der Erwerbsbeteiligung und -tätigkeit seit 1996.
Ihre Analysen belegen keine einheitlichen Entwicklungen in der erwarteten Länge des Arbeitslebens. So zeigen sich sowohl zwischen Männern und Frauen als auch im Vergleich von Ost- und Westdeutschland sowie nach Bildungsabschlüssen deutliche Unterschiede, oftmals von mehreren Jahren. Für die meisten untersuchten Gruppen lässt sich allerdings eine Zunahme der erwarteten Erwerbsdauer feststellen.
Absicht und Realisierung von bürgerschaftlichem Engagement
Frank Micheel befasste sich mit der Absicht und Realisierung bürgerschaftlichen Engagements.
Quelle: BiB
Wird eine Intention zum bürgerschaftlichen Engagement im höheren Erwachsenenalter zu einem späteren Zeitpunkt auch tatsächlich umgesetzt? Mit dieser Frage befasste sich Frank Micheel. Auf der Grundlage der BiB-Panelstudie „Transitions and Old Age Potential: Übergänge und Alternspotenziale (TOP)“ mit zwei Erhebungswellen zeigte er, dass von den Personen, die in der ersten Welle die Absicht für ein bürgerschaftliches Engagement äußerten, in der zweiten Welle jede vierte Person bürgerschaftlich aktiv war. In der Vergleichsgruppe mit keiner Intention war hingegen jede achte Person engagiert. „Damit weisen Intention und spätere Umsetzung einen bedeutsamen statistischen Zusammenhang auf“, lautete sein Resümee. Die Frage nach der Intention ist somit keine irrelevante Facette in der Diskussion über aktives Älterwerden. Allerdings besteht noch Forschungsbedarf im Hinblick auf die Gründe für ein Nichtengagement.
Wirkt sich die Mietpreisentwicklung auf die Binnenwanderung aus?
Mit den Folgen steigender Mietpreise auf die Binnenwanderung beschäftigte sich Dr. Nico Stawarz.
Quelle: BiB
Vor allem in den Städten sind steigende Mietpreise seit einiger Zeit ein Thema. Die Wanderung zwischen Stadt und Land rückt vor diesem Hintergrund wieder stärker in den Fokus von Politik und Öffentlichkeit. Dr. Nico Stawarz untersuchte dazu die Trends der Binnenwanderung seit der Wiedervereinigung bis 2016. „Erste Ergebnisse belegen einen Rückgang der Wanderungsverluste in den ländlichen Räumen. Einige ländliche Kreise können seit 2012 sogar Bevölkerungsgewinne verzeichnen“, sagte er. Dagegen finden sich in den Städten seit 2011 geringere Bevölkerungsgewinne als in den Jahren zuvor. Für die Jahre 2014 und 2015 ist in den Städten sogar eine im Durchschnitt negative Nettowanderung festzustellen. Aus ersten Analysen geht hervor, dass hier ein signifikanter Einfluss der Mietpreise eine Rolle spielt, betonte Dr. Stawarz.
Benötigt Deutschland ein neues Reproduktionsmedizingesetz?
Diese Frage muss aus wissenschaftlicher Sicht klar bejaht werden, betonte Dr. Martin Bujard. Er plädiert bereits seit längerer Zeit zusammen mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einer interdisziplinären Arbeitsgruppe der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, für eine Reform der rechtlichen Regelung der Fortpflanzungsmedizin.
In seinem Vortrag wies er darauf hin, dass das heute noch gültige Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990 stammt und unter anderem auf überholten Vorstellungen von molekulargenetischen Abläufen beruht. Die dynamische Entwicklung der Medizin seitdem findet in der Gesetzgebung nicht ausreichende Beachtung, sagte er. Zudem wird es dem gesellschaftlichen Wandel und der Komplexität der Materie nicht mehr gerecht. Dazu stellte er interdisziplinäre Argumente und rechtliche Rahmenbedingungen zu eSET (das heißt elektiver Single-Embryo-Transfer), Leihmutterschaft und Eizellspende vor. Abschließend diskutierte er Empfehlungen für den Gesetzgeber.
Erste Bilanz des Mortalitäts-Follow-Up der NAKO Gesundheitsstudie
Dr. Ronny Westerman gab eine erste Bilanz des Mortalitäts-Follow-Ups der NAKO Gesundheitsstudie.
Quelle: BiB
Warum wird ein Mensch krank, während der andere gesund bleibt? Dies ist die zentrale Frage der NAKO Gesundheitsstudie. Ziel der Studie mit 200.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist es daher, besser zu verstehen, wie Krankheiten entstehen, sagte Dr. Ronny Westerman bei seiner ersten Bilanz des zum Projekt gehörenden Mortalitäts-Follow-Up, das am BiB angesiedelt ist.
Im Fokus stehen dabei vor allem neurodegenerative und kardiovaskuläre Erkrankungen, aber auch Diabetes mellitus sowie Muskel- und Skeletterkrankungen. Hinzu kommen bösartige Neubildungen. Dr. Westerman gab einen Überblick über die Verfahren des Mortalitäts-Follow-Up, das das Ziel verfolgt, bei den verstorbenen NAKO-Studienteilnehmern die Todesursachen und deren Begleiterkrankungen zu ermitteln. Dadurch werden multikausale Untersuchungen von Todesursachen und den Todesumständen in der NAKO-Studienpopulation überhaupt möglich. Darauf aufbauend sollen dann ergänzend die Todesursachenprofile aller Rekrutierungsregionen dargestellt und verglichen werden.
Insgesamt gestaltet sich die Todesursachenermittlung und -kodierung sehr komplex, betonte er. Es muss darum gehen, sich stärker auf den kompletten Zusammenhang bei der kausalen Todesursachenerhebung zu konzentrieren. Zudem sind bei der Modellierung von multikausalen Todesursachen komplexe statistische Modelle notwendig.
Diskussion: Die Zukunft der Regionen im demografischen Wandel
Wie lassen sich gleichwertige Lebensverhältnisse in Zeiten starken demografischen Wandels herstellen? Ist dieses Ziel überhaupt erstrebenswert? Diesen Fragen widmete sich die diesjährige Podiumsdiskussion bei der DGD-Jahrestagung.
Gleich zu Beginn der Debatte mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Wissenschaft, Verwaltung und Wirtschaft wurde darauf hingewiesen, dass im Grundgesetz die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse als Politikziel verankert ist. Doch wie lässt sich dies vor dem Hintergrund tiefgreifender demografischer Verschiebungen und damit einhergehender Stadt-Land-Gegensätze verwirklichen?
Mit Blick auf die Situation in Bayern wurde ein Perspektivenwechsel angemahnt. So werde die Diskussion zu stark aus der Sicht der Großstädte und weniger aus der Perspektive der ländlichen Regionen geführt. Die eigentliche Frage sei, wie sich der ländliche Raum eigenständig entwickeln könne. In der Kritik stand zudem der Begriff der strukturschwachen Regionen, der zu einer Abwertung in der Wahrnehmung der Bevölkerung führen könnte.
Stärken der Region hervorheben
Einhellige Meinung in der Diskussionsrunde war, dass es nicht erstrebenswert sein kann, wirkliche Einheitlichkeit in allen Regionen Deutschlands herzustellen. Vielmehr müssten durch geschicktes Marketing die jeweiligen Chancen und Besonderheiten der Region hervorgehoben werden. Selbst wenn Regionen an Bevölkerung verlieren, stellt das nicht automatisch ein Problem dar. Die für eine Region wichtigen Indikatoren müssen in den Blick genommen und im Kontext der Frage betrachtet werden, was Veränderungen in diesen Indikatoren für die Region bedeuten. Hierbei spielt nicht zuletzt auch die persönliche Einschätzung der Attraktivität der Region durch die Bevölkerung eine Rolle.
Kann die Digitalisierung helfen?
Ein Ansatzpunkt für die Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse wurde in den Chancen der Digitalisierung gesehen. Dabei wurde die Ansicht geäußert, es sei Aufgabe der Politik dafür zu sorgen, dass die digitale Infrastruktur überall in gleichem Maße gefördert werde. Durch den 5G-Ausbau könnten viele Herausforderungen verringert werden. Am Ende der aus unterschiedlichen Perspektiven geführten Debatte herrschte weitreichender Konsens darüber, dass es darum gehen muss, die ländlichen Regionen nicht schlecht zu reden und auch ihre Stärken zu sehen. Hierzu zählt unter anderem günstiger Wohnraum.
Wie lassen sich räumliche Disparitäten besser erforschen ?
In einer Keynote Lecture beleuchtete Dr. Sebastian Klüsener wissenschaftliche Probleme und Perspektiven bei der Erforschung der Bedeutung räumlicher Disparitäten. Aus seiner Sicht bestehen räumliche Disparitäten nie absolut, sondern immer nur im relativen beziehungsweise relationalen Vergleich mit anderen Räumen. Dazu werden sie durch politische und diskursive Prozesse beeinflusst, so Dr. Klüsener. Zudem sind sie über die Zeit hinweg Veränderungen unterworfen, was wiederum die wissenschaftliche Prognosefähigkeit erschwert.
„Hier könnte ein besseres Verständnis der Stetigkeit und Unstetigkeit räumlicher Disparitäten sehr hilfreich sein, um zukünftige Anstiegs- und Anpassungstendenzen besser einschätzen zu können“, betonte er. Einen Beitrag dazu kann die Verknüpfung sozialdemografischer und demografischer Ansätze leisten, lautete seine Schlussfolgerung. Insgesamt gibt es noch viel ungenutztes Potenzial für die Erforschung der Bedeutung räumlicher Kontextualität für Ungleichheit in Lebensbedingungen und -chancen. Diesbezüglich bietet das stark anwachsende Angebot geocodierter Daten erhebliche Potenziale für Forschung zu räumlichen Disparitäten.