Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Interview zu Artikel in „SUSTAINABILITY“ • 04.08.2020Reduktion des Pendelns bei Mutterschaft kostet Einkommen

Nach der Geburt des ersten Kindes verringern Mütter häufig ihre Pendeldistanz, Väter nicht. Die Reduktion des Pendelns geht mit deutlichen Lohnverlusten einher. Damit erweist sich das Pendelverhalten als ein wesentlicher Grund für die mutterschaftsbedingten Lohneinbußen, wie eine neue Analyse belegt.

Der Beitrag untersucht auf der Basis von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) im Zeitraum zwischen 2001 und 2017, wie der Übergang zur Erstelternschaft das Pendelverhalten von Frauen und Männern beeinflusst und welche Folgen dies für das Einkommen der Mütter hat. Im Interview erläutert der Erstautor der Studie, BiB-Wissenschaftler Dr. Thomas Skora, zentrale Ergebnisse.

Herr Dr. Skora, welche Folgen hat die Geburt des ersten Kindes für das Pendelverhalten erwerbstätiger Mütter und Väter?

Wir haben in unserer Analyse gravierende Veränderungen beim Pendelverhalten der Mütter von erstgeborenen Kindern festgestellt. Unseren Befunden zufolge reduzieren Frauen ihre Pendeldistanz aufgrund der Geburt ihres ersten Kindes im Durchschnitt um 33 Prozent. Dabei reduzierte annähernd jede dritte befragte Mutter ihre Pendeldistanz nach der Geburt des Kindes substanziell, das heißt um mindestens ein Drittel der bisherigen Wegstrecke beziehungsweise bei bisherigen Wegstrecken von bis zu 15 Kilometern um mindestens fünf Kilometer. Zumeist erfolgt die Reduktion, wenn die Frauen nach einer Phase der Elternzeit wieder ins Erwerbsleben zurückkehren. Die verringerte Pendeldistanz wird von dem Gros der Mütter anschließend langfristig beibehalten. Mit Blick auf frischgebackene Väter zeigt unsere Studie hingegen, dass Elternschaft ihre Pendelmobilität nicht merklich beeinflusst.

Welche Folgen hat dies für die Einkommenssituation von Müttern und Vätern?

Die Befunde bestätigen, dass der Lohnnachteil, der mit dem Übergang zur Mutterschaft verbunden ist, die sogenannte Lohnstrafe für Mutterschaft beziehungsweise „motherhood wage penalty“, deutlich höher ausfällt, wenn Mütter ihre Pendeldistanz substanziell reduzieren. Unseren Berechnungen zufolge erleiden Frauen, die ihre Pendeldistanz nach der Geburt ihres ersten Kindes nicht reduzieren, im Durchschnitt einen kindbedingten Lohnverlust in Höhe von 8,7 Prozent. Demgegenüber fällt der relative Lohnverlust für Frauen, die ihre Pendeldistanz infolge der Elternschaft reduzieren, mit 18,7 Prozent ungefähr doppelt so hoch aus. Für die Höhe des Lohnverlustes ist allerdings ausschlaggebend, wie die Reduktion der Pendeldistanz realisiert wird. Nur selten verlagern Mütter ihren Wohnort in die Nähe ihres Arbeitsplatzes. In diesem Fall verursacht die Reduktion der Pendeldistanz keine Lohneinbußen. Wesentlich häufiger wird hingegen eine neue Stelle aufgenommen, die näher am Wohnort liegt. Betrachten wir ausschließlich Mütter, die ihre Pendeldistanz durch einen Wechsel auf einen nähergelegenen Arbeitsplatz verringern, können wir durchschnittliche Lohneinbußen in Höhe von 30 Prozent feststellen. Unsere Analysen zeigen mithin, dass fast ein Viertel des gesamten mutterschaftsbedingten Lohnnachteils auf die Reduktion des Pendelns zurückgeführt werden kann.

Die mutterschaftsbedingten Lohneinbußen gelten ferner als wesentlicher Grund für den Gender Pay Gap. Diesbezüglich legen unsere Analysen nahe, dass der einseitige Rückgang der Pendelbereitschaft bei Müttern auch zu der vieldiskutierten Gehaltslücke zwischen beiden Elternteilen beiträgt, da Männer infolge ihrer geringeren Verantwortung für Haus- und Familienarbeit auch im Kontext von Elternschaft weiterhin Arbeitsplätze in großer räumlicher Entfernung erreichen können.

Worin liegen die Ursachen für die höheren Lohneinbußen, wenn die Mütter ihre Pendeldistanzen verkürzen?

Wir haben in unserer Studie mehrere Mechanismen aufdecken können, die diesen Zusammenhang genauer erklären. Demnach beruhen die Lohneinbußen zum Teil darauf, dass mit einem Stellenwechsel Lohnvorteile infolge von firmenspezifischem Know-how und betriebsinternen Aufstiegen verloren gehen. Als zweite wichtige Ursache erweist sich die Einschränkung auf den wohnortnahen Stellenmarkt. Zu Gunsten kürzerer Pendelwege werden mangels Alternativen vielfach Arbeitsplätze akzeptiert, die nicht mehr dem eigenen Qualifikationsprofil entsprechen. Zudem finden im Umland und auf dem Land lebende Mütter vor Ort häufig kleinere Firmen vor, die im Durchschnitt geringer entlohnen als die größeren Firmen in den Stadtzentren.

Skora, Thomas; Rüger, Heiko; Stawarz, Nico (2020): Commuting and the Motherhood Wage Gap: Evidence from Germany. In: Sustainability 12 (14), 5692

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