Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Policy Brief zur Wiedervereinigung • 02.10.2020Folgen gerade bei „Wendegeneration“ sichtbar

Die Auswirkungen des Einheitsprozesses auf die Lebensläufe in Ostdeutschland sind sehr unterschiedlich auf die Generationen verteilt. Einige haben profitiert, während andere Generationen mit Herausforderungen und Verlusterfahrungen konfrontiert waren. Ein neuer Policy Brief des BiB macht auf diese Generationenunterschiede aufmerksam. Dabei werden für vier Generationen Unterschiede in beruflichen und privaten Folgen betrachtet.

Personen im Ruhestandsalter profitierten durch Rentenanpassung und höhere Lebenserwartung

So profitierte die erste Generation der vor 1930 geborenen Personen, welche 1990 bereits größtenteils im Ruhestand war, von der Deutschen Einheit überwiegend stark. Viele verfügten über lange Erwerbszeiten, die ihnen mit der Übernahme des westdeutschen Rentensystems hohe Rentenzahlungen sicherten. Gleichzeitig wurde die medizinische Versorgung zügig auf Westniveau gehoben, wovon gerade ältere Personen profitierten. Die veränderten Rahmenbedingungen spiegelten sich in einem schnellen Anstieg der Lebenserwartung wider. „Die verbleibende durchschnittliche Lebenserwartung 65-jähriger Menschen lag 1990 im Osten fast zwei Jahre unter der im Westen. Mittlerweile hat sich der Abstand zum Westen auf weniger als zwei Monate reduziert“, erläutert Dr. Sebastian Klüsener, Forschungsdirektor am BiB und Mitautor des Policy Briefs.

Personen im fortgeschrittenen Erwerbsalter mussten große Anpassungsleistung erbringen

Die zweite Generation (Jahrgänge 1930 bis 1959), die sich 1990 im fortgeschrittenen Erwerbsalter befand, war weitgehend in der DDR sozialisiert und ausgebildet worden. Für Personen dieser Generation ergaben sich oft erhebliche Herausforderungen, sich auf den stark wandelnden Arbeitsmarkt einzustellen. Viele wurden arbeitslos oder mussten sich beruflich umorientieren. „Diese Generation musste eine große Anpassungsleistung erbringen, die häufig zu Brüchen in den Erwerbsbiographien und zu Abstrichen bei der Rentenhöhe führte“, so Dr. Klüsener. Der Stress des Umbruchs schlug sich auch bei vielen in gesundheitlichen Folgen nieder.

„Wendegeneration“: Die Freiheiten der Einen sind die Herausforderungen der Anderen

Mit besonders vielfältigen Herausforderungen war die dritte Generation, die „Wendegeneration“, konfrontiert, welche die Geburtsjahrgänge der 1960er, 1970er und frühen 1980er Jahre umfasst. Diese Generation war in der Umbruchphase der 1990er und frühen 2000er im jungen Erwachsenenalter – einem Alter, in dem in der Regel die Weichen für das weitere Erwerbs- und Familienleben gestellt werden. Einige konnten von den neuen Freiheiten stark profitieren und die meisten trotz der herausfordernden Umstände ihr Leben erfolgreich gestalten. Daneben hatten aber in dieser Generation auch viele Menschen Schwierigkeiten, sich angesichts der wirtschaftlichen Umbruchsituation im Erwerbsleben zu etablieren. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Familienplanung und das Gesundheitsverhalten. „Wanderungsprozesse etwa zwischen Ost und West wie auch innerhalb des Ostens haben in einigen Regionen Ostdeutschlands zu Männerüberhängen geführt“, analysiert Dr. Michael Mühlichen, Mitautor des Policy Briefs. Dies schränkt dort für Männer die Möglichkeit ein, vor Ort eine Partnerin für die Familiengründung zu finden.

Bei der Lebenserwartung scheinen neue Ost-West-Unterschiede aufzubrechen

Auch beim Gesundheitsverhalten und bei der Sterblichkeit fällt die „Wendegeneration“ besonders auf: So weisen ostdeutsche Männer zwischen 40 und 60 Jahren eine um mindestens 20 Prozent erhöhte Sterblichkeit gegenüber westdeutschen Männern auf. Bei den Frauen sind die Ost-West-Unterschiede geringer, steigen aber zu den jüngeren Jahrgängen hin an. „Noch wirkt sich dies nicht stark auf Ost-West-Unterschiede in der allgemeinen Lebenserwartung aus, da die Sterblichkeit zwischen 40 und 60 Jahren noch relativ gering ist“, so Dr. Mühlichen. „Angesichts der hohen Verbreitung von Vorerkrankungen und von gesundheitsbeeinträchtigenden Verhaltensweisen wie etwa dem Rauchen rechnen wir aber damit, dass Ost-West-Unterschiede in der Sterblichkeit wieder größer werden, sobald die Wendegeneration ein Alter mit höherer Sterblichkeit erreicht.“

Nach der „Wendegeneration“: Mit Zuversicht in die Zukunft

Bei der vierten Generation, den ab 1985 Geborenen, fällt die Bilanz deutlich positiver aus als bei der „Wendegeneration“. Sie erlebte den Übergang ins Erwerbsleben in einem deutlich besseren wirtschaftlichen Umfeld als die vorangegangene Generation. „In dieser Generation verblassen die Wirkungen von Teilung und den Wendejahren. Hierdurch sind für diese Generation geringere Ost-West-Unterschiede in den Erwerbs- und Familienbiographien zu erwarten“, sagt Prof. Dr. Norbert F. Schneider, Direktor des BiB.

Corona-Generation? Generationenblick heute

Nicht nur bei der Deutschen Einheit kann ein differenzierter Blick auf unterschiedliche Generationen oder bestimmte soziale Gruppen wichtige Einblicke liefern. Dies gilt auch für andere gesellschaftliche Herausforderungen wie etwa die aktuelle Corona-Krise. „Selbst wenn alle von der Corona-Krise berührt sind, so unterscheiden sich die Auswirkungen erheblich“, so Prof. Dr. Schneider. „Eine derartige Krise hinterlässt bei jüngeren Menschen häufig tiefere Spuren im weiteren Lebensverlauf als bei älteren. Für eine erfolgreiche Bewältigung derartiger gesellschaftlicher Herausforderungen ist es wichtig, diese sozialen Unterschiede in den Blick zu nehmen.“

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