Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Neuer Artikel im „European Journal of Aging“ • 14.12.2020Sind die Menschen gesund genug für einen späteren Eintritt in den Ruhestand?

Während viele Menschen heute ein längeres und gesünderes Leben genießen, stellt das derzeitige Renteneintrittsalter sowohl für die Politik als auch für Ruheständler eine Herausforderung dar. Eine neue Studie untersucht für Frauen und Männern in Europa, ob es basierend auf dem Verhältnis zwischen der Lebensarbeitszeit und für die Arbeitsfähigkeit wichtigen Gesundheitsaspekten Potenzial für eine Erhöhung des Renteneintrittsalters gibt.

Die Lebenserwartung ist in vielen Ländern auf der Welt stetig gestiegen, unter anderem durch Fortschritte im Gesundheitswesen und einen gesünderen Lebensstil. Gleichzeitig ist die Geburtenrate gesunken oder hat sich auf niedrigem Niveau stabilisiert, was zu einem signifikanten Anstieg des Anteils älterer Erwachsener geführt hat. Diese Entwicklung gefährdet die finanzielle Nachhaltigkeit in mehreren Bereichen der sozialen Sicherungssysteme; eines davon sind die Rentensysteme, da die meisten europäischen Länder ihren Bürgern eine staatliche Rente bieten. Renteneintrittsalter und Maßnahmen zur Förderung eines längeren Verbleibs im Erwerbsleben werden gegenwärtig sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene breit diskutiert, und viele Länder haben bereits politische Maßnahmen initiiert beziehungsweise verabschiedet, die zu einer schrittweisen Erhöhung des offiziellen Renteneintrittsalters führen. In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch die Frage, wie groß das Potenzial ist, die Lebensarbeitszeit angesichts des Gesundheitszustands der Menschen weiter zu erhöhen.

Unterschiede bei Gesundheit und Lebensarbeitszeit

In ihrer im „European Journal of Aging“ veröffentlichten Studie untersuchten die Wissenschaftlerinnen Daniela Weber vom International Institute of Applied Systems Analysis (IIASA) und Elke Loichinger vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), ob es Potenzial für eine generelle Erhöhung des Renteneintrittsalters gibt. Ihre Analyse basiert auf dem Verhältnis zwischen der Lebensarbeitszeit und drei Maßzahlen für die Lebenserwartung in Gesundheit, die für die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit wichtige Gesundheitsaspekte für Frauen und Männer im Alter von 50 bis 59 Jahren und im Alter von 60 bis 69 Jahren in Europa abbilden.

„Es gibt mehrere Studien zum Verhältnis zwischen Ruhestand und Gesundheit auf individueller Ebene. Studien auf Bevölkerungsebene sind jedoch selten, und wir waren überrascht, dass Unterschiede zwischen der Lebenserwartung in Gesundheit und der Lebensarbeitszeit bisher nicht gemessen worden sind. Wir wollten herausfinden, wie groß das Potenzial ist, die wirtschaftlich aktiven Jahre angesichts des Gesundheitszustands der Menschen weiter zu erhöhen, und auch, wie sich dieses Potenzial zwischen Männern und Frauen für verschiedene Altersgruppen und zwischen verschiedenen sozioökonomischen Gruppen unterscheidet”, so Dr. Loichinger.

Hierzu analysierten die Wissenschaftlerinnen das Verhältnis zwischen Lebensarbeitszeit und gesunder Lebenserwartung, wobei zwischen den drei gesundheitlichen Dimensionen physischer, kognitiver und allgemeiner Gesundheit unterschieden wurde. Außerdem wurde die bildungsspezifische Heterogenität bei der Lebensarbeitszeit und bei allen drei Gesundheitszuständen untersucht. Der Fokus der Analyse lag insbesondere auf den Altersgruppen der 50- bis 59-Jährigen und 60-bis 69-Jährigen, da diese am stärksten von zukünftigen Erhöhungen des Eintrittsalters in den Ruhestand betroffen sind und sein werden.

Bildungsniveaus spielen eine Rolle für eine längere Erwerbsbeteiligung

Die Befunde zeigen, dass es insgesamt Potenzial für eine Erhöhung der wirtschaftlich aktiven Jahre sowohl bei Männern als auch bei Frauen zwischen 60 und 69 Jahren gibt. Die bildungsspezifische Analyse im Hinblick auf die Größe dieses Potenzials zeigt jedoch große Unterschiede zwischen den verschiedenen sozioökonomischen Gruppen in der Bevölkerung. So können zum Beispiel 60-jährige Männer mit niedriger Bildung in Schweden damit rechnen, 4,2 weitere Jahre erwerbstätig zu sein. Dieser Wert erhöht sich auf sechs Jahre, wenn sie einen Hochschulabschluss haben. In Bezug auf ihre körperliche Gesundheit können Männer mit einem niedrigen Bildungsniveau 8,4 Jahre bei guter Gesundheit erwarten und 8,7 Jahre, wenn sie einen Hochschulabschluss haben. In Bulgarien können Männer des gleichen Alters mit einem Hochschulabschluss damit rechnen, 4,5 Jahre länger zu arbeiten und 5,7 Jahre länger bei guter körperlicher Gesundheit zu sein. Ihre Altersgenossen mit niedrigem Bildungsniveau können mit nur 2,7 Jahren bei guter körperlicher Gesundheit rechnen, während derer sie auch arbeiten.

„Die Unterschiede zwischen Bildungsgruppen in Bezug auf Gesundheit und die Fähigkeit, über das derzeitige Austrittsalter aus dem Arbeitsmarkt hinaus zu arbeiten, müssen bei einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit berücksichtigt werden. Unsere Ergebnisse deuten auf ein Potenzial zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit über das derzeitige Niveau hinaus hin. Allerdings erfordern die signifikanten Unterschiede in der erwarteten Anzahl von Jahren in guter Gesundheit zwischen Menschen mit unterschiedlichen Bildungsniveaus eine Politik, die diese Heterogenität berücksichtigt“, resümiert Weber. (Quelle: IIASA-Pressemitteilung)

Weber, Daniala; Loichinger, Elke (2020): Live longer, retire later? Developments of healthy life expectancies and working life expectancies between age 50-59 and age 60-69 in Europe. In: European Journal of Aging (online first)

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