Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Berliner Demografiegespräch • 02.03.2021Höhere (Über-)Sterblichkeit in Deutschland durch Corona?

In Deutschland wurde das Sterblichkeitsgeschehen 2020/2021 durch die Folgen der Corona-Pandemie beeinflusst. Die verzeichnete Übersterblichkeit ist im internationalen Vergleich aber eher moderat, wie beim Online-Demografiegespräch des BiB und des Statistischen Bundesamtes deutlich wurde. Die Veranstaltung bildete den Auftakt für die neue Reihe „Berliner Demografiegespräch“, die künftig als Forum für aktuelle demografische Themen dienen soll. Im laufenden Jahr sind weitere Gespräche geplant.

Krankenschwester hält älterem Patienten die Hand Quelle: © Sandor Kacso / Adobe Stock

Die Frage, ob es in Deutschland durch die Corona-Pandemie zu einer Übersterblichkeit gekommen ist, wird derzeit breit diskutiert. Für eine realistische Einschätzung bedarf es einer Betrachtung der Gesamtsterbefallzahlen, wie der Statistiker Dr. Felix zur Nieden vom Statistischen Bundesamt betonte. Derartige Daten sind im Gegensatz zur Sterblichkeit durch die Todesursache COVID-19 unabhängig davon, wie Todesursachen definiert und erfasst werden. Diesbezüglich gibt es große Unterschiede zwischen einzelnen Ländern.

Was heißt eigentlich Übersterblichkeit?

Bei der Übersterblichkeit handelt es sich um kein konkret definiertes wissenschaftliches Konzept, da es verschiedene Ansätze der Erfassung gibt. „Grundsätzlich ist mit Übersterblichkeit eine im Zeitverlauf erhöhte Sterblichkeit in Wochen oder Monaten und weniger in Kalenderjahren gemeint“, so der Statistiker. Von Übersterblichkeit spricht man, wenn mehr Sterbefälle auftreten als zu erwarten war. Diese kann erfasst werden, indem etwa für bestimmte Wochen oder Monate die Abweichung vom Durchschnitt der Sterbefallzahlen der Vorjahre betrachtet wird. „Es gibt aber auch komplexere Ansätze, um Übersterblichkeitsphasen der Vorjahre herauszurechnen“, sagte der Wissenschaftler. Grundsätzlich muss immer darauf geachtet werden, wie Übersterblichkeit definiert wird und auf welchen Zeitraum sich bezogen wird.

Entwicklung der Sterbefallzahlen 2020/2021

Der direkte Vergleich mit den Zahlen der Vorjahre ist schwierig, da der Interpretation der Sterbefallzahlen die erfolgten Maßnahmen und Verhaltensänderungen ab März 2020 mit zu berücksichtigen sind. So gab es Anfang 2020 deutlich weniger Grippetote als in den Jahren zuvor − die Sterblichkeit war dadurch deutlich unterdurchschnittlich.

Mit dem Anstieg der COVID-19-Zahlen in der ersten Welle sind dann auch die Sterbefallzahlen deutlich angewachsen und es gab 10 Prozent mehr Sterbefälle als im Durchschnitt der Vorjahre. Nach einem Rückgang erfolgte dann im Verlauf der Hitzewelle des Sommers 2020 ein erneuter Anstieg der durchschnittlichen Sterbefallzahlen. Anfang Oktober 2020 lagen die Sterbefallzahlen dann wieder im Bereich des Durchschnitts und sind danach systematisch mit dem Anstieg der COVID-19-Zahlen wieder über den Durchschnitt hinaus angewachsen. „Stand heute hatten wir 2020 knapp 985.000 Sterbefälle und damit 5 Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahresdurchschnitt“, bilanzierte der Statistiker.

Hat Corona Effekte auf die Sterbefallzahlen?

Welchen Einfluss Corona auf die Sterbefallzahlen hatte, ist schwierig festzustellen, da hier viele Effekte einfließen. Werden nur die Zahlen von April bis Dezember betrachtet, dann lagen die Zahlen 9 Prozent über dem Vorjahresdurchschnitt. Im Januar 2021 waren die Sterbefallzahlen noch immer deutlich erhöht − insgesamt lagen sie 20 Prozent über dem Vorjahresdurchschnitt. Im Februar wurde wieder der Bereich des Durchschnitts erreicht, obwohl noch immer eine relevante Zahl von COVID-19-Toten gemeldet wurde.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass es zu einer starken Zunahme der Sterbefallzahlen durch Corona in Deutschland gekommen ist. Dies gilt besonders für das Jahresende, wobei die Auswirkungen regional schwanken, resümierte der Statistiker. Bezogen auf das ganze Kalenderjahr lässt sich dagegen feststellen, dass es keine deutliche Übersterblichkeit in Deutschland gegeben hat. Dies hängt allerdings wiederum von dem Konzept ab, wie man Übersterblichkeit anwendet und worauf man den Begriff bezieht.

Übersterblichkeit? Deutschland und andere Länder im Vergleich

Wie hat sich die (Über-)Sterblichkeit in anderen Ländern entwickelt? Damit beschäftigte sich BiB-Wissenschaftler Dr. Sebastian Klüsener. Zu den Ländern, die etwas besser dastehen als Deutschland, zählt zum Beispiel Norwegen, das bisher in 2020 und 2021 keine Übersterblichkeit verzeichnete. Auch in Südkorea hatte die Pandemie bis jetzt nur geringe Auswirkungen auf die Sterblichkeit.

In den USA hat die Pandemie gravierendere Folgen als in Deutschland oder Schweden gehabt. Allerdings gilt es hier zu beachten, dass die amerikanische Bevölkerung im Schnitt jünger ist. „Das bedeutet, dass das Auftreten von einer hohen Zahl von Infektionsfällen nicht automatisch zu hoher Übersterblichkeit führen muss.“ So haben die USA keine so starke Übersterblichkeit verzeichnet wie manch andere Länder, die deutlich weniger im Fokus stehen.

Die Befunde zeigen insgesamt, dass Corona schnell zu einer hohen Übersterblichkeit führen kann, wenn die Pandemie nicht eingedämmt wird, bilanzierte der Wissenschaftler. Dies galt auch schon für die Anfangsphase der Pandemie, in der die sich aktuell schnell ausbreitenden Mutationen noch gar nicht existierten.

Welchen Beitrag liefern Gesundheits- und Sterbedaten zur Bewältigung der Pandemie?

Im zweiten Teil seines Vortrags machte Dr. Klüsener deutlich, inwieweit Gesundheits- und Sterbedaten in Deutschland im ausreichenden Detail erhoben werden und schnell genug verfügbar sind, um zu einer erfolgreichen Bewältigung der Pandemie beizutragen.

Einige Daten liegen auch dank der Pandemie nun schneller vor

Dabei spielt die Geschwindigkeit, mit der Daten verfügbar sind, eine wichtige Rolle. Dr. Klüsener betonte, dass hier in einigen Bereichen im letzten Jahr durch den großen Einsatz von Beschäftigten am Robert Koch-Institut (RKI) und am Statistischen Bundesamt große Fortschritte erzielt werden konnten. Es gibt aber Bereiche, wo die Beschleunigungspotenziale noch nicht ausgeschöpft sind. Dies gilt etwa für die Todesursachenstatistik. Besonders nachbesserungswürdig ist aus Sicht der Forschung die Lage beim Zugang zu detaillierten Forschungsdaten in den Forschungsdatenzentren.

Wie lassen sich die Folgen der Pandemie besser erforschen?

Darüber hinaus ist es wichtig, Angaben zum Todesort vorliegen zu haben (zum Beispiel Krankenhaus oder Pflegeheim). Dies würde Einschätzungen erlauben, wo sich die Sterblichkeit konzentriert. „Darüber hinaus wäre es gut, Daten zu haben, die eine bessere Erfassung von sozialen Unterschieden in der Sterblichkeit erlauben“, forderte Dr. Klüsener. Benötigt werden zudem qualitativ hochwertigere Todesursachendaten und ihre Erfassung etwa mithilfe eines Mortalitätsregisters. „Allgemein benötigen wir eine Umstellung auf eine komplett elektronische Erfassung sämtlicher Gesundheits- und Sterbedaten“, konstatierte der Demograf.

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