Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Sammelband GERPS-Projekt • 11.05.2021Konsequenzen internationaler Mobilität für den Lebenslauf

Mit den Folgen der Aus- und Rückwanderung Deutscher für den individuellen Lebenslauf beschäftigt sich das GERPS-Projekt am BiB. Ein neuer Sammelband präsentiert erstmals wichtige Forschungsergebnisse der Studie. Deutschland ist nicht nur eines der wichtigsten Zielländer internationaler Migration, sondern mittlerweile auch ein bedeutendes Herkunftsland internationaler Wanderungsbewegungen. Im Verlauf der letzten Jahrzehnte hat die internationale Mobilität der Bevölkerung in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewonnen.

Flugzeug fliegt um Globus Quelle: pixabay

Auslandsaufenthalte während Schule, Ausbildung, Studium, Beruf oder Ruhestand sind Ereignisse, die weitreichende Konsequenzen entlang unterschiedlicher Dimensionen des Lebensverlaufs haben, wie etwa für die Familie oder die Karriere. Ein Umzug ins Ausland als auch die Rückkehr aus dem Ausland nach Deutschland können daher zu Veränderungs- und Anpassungsprozessen im neuen Lebensumfeld führen. Vor diesem Hintergrund trägt die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Studie „German Emigration and Remigration Panel Study (GERPS)“ des BiB und der Universität Duisburg-Essen diesen Veränderungen im Migrationsgeschehen Rechnung. Zugleich schließt sie damit auch eine Lücke in der Forschung, wie Projektkoordinator Dr. Andreas Ette und der wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. Nils Witte im Interview betonen.

Herr Dr. Ette, welches Erkenntnisinteresse steckt hinter dem Projekt zur Aus- und Rückwanderung Deutscher?

In der Migrationsforschung wurden bisher vor allem Wanderungsbewegungen aus ökonomisch weniger in höher entwickelte Staaten untersucht. Migration zwischen hoch entwickelten Staaten ist für das heutige Migrationsgeschehen jedoch zunehmend bedeutsam. Über diese Prozesse wissen wir bisher vergleichsweise wenig. Dazu zählt auch die Frage von individuellen Konsequenzen internationaler Mobilität für den Lebensverlauf der Betroffenen. Das Projekt GERPS möchte diese Forschungslücke schließen und am Beispiel Deutschlands als hochentwickeltem Wohlfahrtsstaat neue Daten zu diesem Thema präsentieren. Im Unterschied zu anderen Untersuchungen, die sich auf die Analyse von Zuwanderern aus einer Vielzahl von Herkunftsländern in nur einem Zielland konzentrieren, steht bei GERPS die Befragung von Menschen eines Herkunftslandes in einer Vielzahl von Zielländern im Fokus. Im Falle Deutschlands liegen diese in erster Linie im europäischen Ausland. Dabei wird Migration als wichtiges Ereignis im eigenen Lebenslauf verstanden, das sich in vielerlei Hinsicht auswirkt. Ein besonderes Augenmerk des Projekts gilt vor allem den Dimensionen „Erwerbstätigkeit und Einkommen“, „Partnerschaft und Familie“ sowie „Gesundheit und Lebenszufriedenheit“. Zu diesen Fragestellungen liefert das Projekt erstmals eine auch im internationalen Vergleich einmalige Datengrundlage, da diese Bevölkerungsgruppe von anderen Surveys wie zum Beispiel dem Sozio-oekonomischen Panel nicht oder nur teilweise erfasst wird.

Warum verlassen denn eigentlich Deutsche ein Land mit einem hohen Lebensstandard, funktionierendem Sozialsystem und nach wie vor guten ökonomischen Perspektiven?

Eine große Bedeutung haben berufliche Motive, die von fast 58 Prozent der Befragten als Grund für die Migrationsentscheidung angegeben wurden. An zweiter Stelle folgt mit 45 Prozent der Wunsch nach einem Wandel der persönlichen Lebensumstände. Unzufriedenheit mit dem Leben in Deutschland ist dagegen nur von untergeordneter Bedeutung für die Auswanderung. Nur 17 Prozent nannten diesen Grund als bedeutsam für ihre Auswanderungsentscheidung.

Und warum kommen ehemalige Auswanderer wieder nach Deutschland zurück?

Von den Deutschen, die sich für einen Umzug ins Ausland entscheiden, äußert mehr als jeder fünfte Befragte die Absicht, dauerhaft im Ausland leben zu wollen. Die Hälfte der Befragten plant hingegen einen befristeten Auslandsaufenthalt von meist bis zu fünf Jahren. Fragt man diese Rückkehrer nach ihren Motiven, spielen auch hier in erster Linie berufliche Gründe die Hauptrolle, wenn auch mit 40 Prozent nicht ganz so deutlich wie im Falle der Auswanderung. Daneben spielen für die Rückkehr vor allem familiäre Gründe eine entscheidende Rolle, wie sich bei über 40 Prozent der Befragten gezeigt hat. Insgesamt berichtet nur eine kleine Minderheit von Unzufriedenheit mit dem Leben oder mit den politischen Verhältnissen im Zielland. Allerdings gibt es eine Ausnahme: Knapp die Hälfte der Rückkehrer aus dem Vereinigten Königreich gab an, dass der Austritt Großbritanniens aus der EU, der sogenannte Brexit, einen wichtigen Grund für die Rückkehr nach Deutschland darstellte. Insgesamt ist aber festzuhalten, dass für die meisten international mobilen Personen nicht nur ein Grund, sondern ein Bündel verschiedenster Motive für die Aus- oder Rückwanderungsentscheidung relevant war.

Herr Dr. Witte, wie würden Sie die Sozialstruktur der Aus- und Rückwanderer beschreiben?

Zunächst einmal sind die Emigranten und Remigranten im Schnitt mehr als 10 Jahre jünger im Vergleich zur nicht mobilen, also „sesshaften“ Bevölkerung in Deutschland. Zudem hat die international mobile Bevölkerung ein überdurchschnittlich hohes Qualifikationsniveau und zugleich einen hohen sozioökonomischen Status. Beispielsweise haben 85 Prozent der erwerbstätigen Auswanderer einen Hochschulabschluss, enorm im Vergleich zu einem Drittel in der deutschen Bevölkerung. Auch in Bezug auf die soziale Herkunft zeigt sich das. Fast 60 Prozent der Auswanderer, aber nur 15 Prozent der Referenzbevölkerung, kommen aus akademischen Familien.

Und wie wirkt sich das Migrationsgeschehen auf die soziale Mobilität der Betroffenen aus?

Wir hätten angenommen, dass internationale Migration die soziale Mobilität erhöht. Dafür finden sich bisher keine Nachweise. Allerdings könnte das teilweise darauf zurückgehen, dass die Ausgewanderten meist bereits den oberen Dienstklassen entspringen, also nicht weiter aufsteigen können. Dafür spricht auch, dass Auswanderung das Risiko sozialer Abwärtsmobilität ausbremst. Bezogen auf die Löhne ist die Auswanderung durchschnittlich mit einem deutlichen Zuwachs verbunden. Abgesehen von diesen sozialstrukturellen Auswirkungen finden wir aber auch Hinweise, dass Auswanderung sich nicht nur finanziell gesehen lohnt, sondern sich auch positiv auf die Lebenszufriedenheit auswirkt.

Sie haben auch die Folgen der internationalen Migration für die Paarbeziehungen der Aus- und Rückwanderer untersucht: Was bedeutet Migration für die Partnerschaft?

Diesen Aspekt haben insbesondere unsere Kolleginnen und Kollegen von der Universität Duisburg untersucht, mit denen wir seit mehreren Jahren das Projekt gemeinsam durchführen. Sie haben untersucht, unter welchen Bedingungen internationale Migration das Risiko einer Trennung erhöht. Interessanterweise ist das Trennungsrisiko bei der Auswanderung niedriger als bei der Rückwanderung. Ein erhöhtes Risiko einer Trennung besteht dann, wenn der Partner oder die Partnerin gewissermaßen als „stummer Begleiter“ an der Migration teilnimmt, also die Person, die die Migrationsentscheidung nicht selbst getroffen hat, aber trotzdem mitgeht. Das sind häufig die Frauen. Nicht gleichberechtigte Partnerschaften und zeitlich nicht zwischen den Partnern abgestimmte Abläufe des Migrationsprozesses erhöhen die Gefahren für eine Trennung deutlich – und zwar sowohl bei den Aus- als auch bei den Rückwanderern.

Gab es für Sie überraschende Befunde, die Sie so nicht erwartet hätten?

Die Debatte über die Auswanderung aus Deutschland, aber auch aus anderen Industriestaaten wie den Vereinigten Staaten oder den europäischen Nachbarstaaten, konzentrierte sich bisher meist auf die ökonomischen Konsequenzen. Vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft besteht oftmals die Sorge, dass die internationale Mobilität den Fachkräftemangel in diesen Gesellschaften weiter verschärfen würde. Überraschend in unseren Befunden ist in der Tat das durchschnittlich sehr hohe Qualifikationsniveau der Auswanderer, doch finden sich in unseren Analysen kaum Belege für einen dauerhaften „brain drain“ aus Deutschland. Wie bereits erwähnt, plant nur jede fünfte ausgewanderte Person einen dauerhaften Aufenthalt im Ausland, während die Hälfte der Auswanderer eine Rückkehr nach wenigen Jahren intendiert. Da auch das Qualifikationsniveau von Aus- und Rückwanderern vergleichbar ist, können wir auf Grundlage unserer Forschung also Ängste vor einem dauerhaften Fachkräfteverlust dämpfen, obwohl einzelne Berufe insbesondere im IT-Sektor und in den Naturwissenschaften betroffen sein könnten. Der Sammelband zeigt, dass sich die Debatte stärker auf die individuellen Konsequenzen eines Auslandsaufenthalts konzentrieren sollte. Die internationale Mobilität ist für die meisten Befragten mit beruflichen Gewinnen verbunden und reduziert das Risiko sozialer Abwärtsmobilität.

Wie geht es mit der Studie weiter?

Das Projekt hat sich über die vergangenen Jahre äußerst positiv entwickelt. Gegenwärtig bereiten wir vor, die im Jahr 2018 erstmals befragten Aus- und Rückwanderer im Herbst dieses Jahres dann zum mittlerweile fünften Mal zum Verlauf ihres Auslandsaufenthalts zu befragen. In den zukünftigen Veröffentlichungen setzen wir uns somit zunehmend mit den längerfristigen Konsequenzen dieser Form internationaler Wanderungen auseinander. Welche Folgen hat die Mobilität auf die Partnerschaft und die Familie? Und gelingt es den Rückkehrern, ihre neuen Erfahrungen für ihre berufliche Karriere auch langfristig zu nutzen?

Erlinghagen, Marcel; Ette, Andreas; Schneider, Norbert F.; Witte, Nils (2021): The Global Lives of German Migrants. Consequences of International Migration Across the Life Course. IMISCOE Research Series. Cham: Springer.

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