Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Publikationen • 11.05.2021Warum nutzen infertile Paare Reproduktionsmedizin (nicht)?

Die Nutzung reproduktionsmedizinischer Maßnahmen hat in den letzten 30 Jahren zugenommen. Zuverlässige Informationen zur Zahl der Nutzerinnen und Nutzer und zu den Gründen für die Nutzung fehlen jedoch. Zwei neue Artikel befassen sich mit der Häufigkeit oder Prävalenz der Nutzung medizinischer Hilfe (Artikel 1) beziehungsweise mit den Einflussfaktoren für die Nutzung (Artikel 2).

Schwangerschaftstests Quelle: © Flora Panzner / Adobe Stock

Nur ein Teil der Paare mit Fertilitätsproblemen nutzt medizinische Hilfe. Für viele Länder liegen mittlerweile Studien vor, die darüber berichten, wie groß der Anteil der Nutzerinnen und Nutzer ist. Allerdings weisen diese Studien viele konzeptionelle und methodische Probleme auf, weshalb hier keine Zahlen berichtet werden sollen. Studien, welche die Nutzung medizinischer Unterstützung als Prozess betrachten, zeigen, dass viele Betroffene mit einem Arzt Kontakt aufnehmen, aber nur wenige sich tatsächlich reproduktionsmedizinisch behandeln lassen.

Warum Paare medizinische Unterstützung bei Infertilität nutzen oder nicht, ist bisher nicht eindeutig geklärt. Dabei ist die Zahl der quantitativen Untersuchungen über die Bestimmungsgründe der medizinisch Hilfesuchenden zuletzt gestiegen. Nachfolgend wird über den Artikel berichtet, der zum ersten Mal Befunde dieser Studien zusammenfasst und einen kritischen Blick auf inhaltliche und methodische Probleme wirft. Analysiert werden darin 39 Studien aus 11 Ländern im Zeitraum zwischen 1990 bis 2019. Damit soll zugleich ein umfassender Überblick über den Forschungsstand zum Thema gegeben und der Frage nachgegangen werden, was bereits bekannt ist.

Heterogene Forschungslandschaft

Das Forschungsgebiet ist grundsätzlich interdisziplinär ausgerichtet. Die untersuchten Studien wurden aus verschiedenen Forschungsbereichen wie der Soziologie, der Psychologie, der Sozialepidemiologie sowie „public health“ zusammengetragen. Je nach Disziplin variieren aber die Forschungsinteressen, methodischen Strategien und theoretischen Ansätze, so dass sich am Ende ein heterogenes und zersplittertes Gesamtbild der Forschungslandschaft zu diesem Thema ergibt. In den meisten betrachteten Studien fehlt eine theoretische Fundierung, was einen Vergleich erschwert. Darüber hinaus werden in den meisten Forschungsarbeiten nur Frauen betrachtet, sodass wenig über Männer und Paare bekannt ist.

Ökonomische Faktoren stehen im Vordergrund

Bei der Evaluation der Studien ergaben sich fünf Kategorien von Einflussfaktoren auf die Nutzung medizinischer Unterstützung: Soziodemografische Variablen (dazu zählen etwa das Alter oder die ethnische Herkunft sowie der Migrationshintergrund), sozioökonomische Faktoren (wie das Einkommen, eine Krankenversicherung oder der Bildungsgrad), die Reproduktionsvorgeschichte (zum Beispiel bereits vorhandene Kinder oder Vorerkrankungen), die jeweiligen persönlichen Einstellungen (etwa zu Kinderwünschen oder Reproduktionsmedizin) und psychologische Faktoren (wie Stressempfinden oder Depressionen).

Die Auswertungen ergeben unter anderem, dass sich eine große Zahl der Studien mit sozioökonomischen Faktoren beschäftigt. Der Grund dafür wird darin gesehen, dass Kinderwunschbehandlungen meist teuer sind und entweder gar nicht oder nur unvollständig von der Krankenversicherung übernommen werden.

Zusammenspiel vieler Faktoren bei der Suche nach Antworten

Zu persönlichen Einstellungen und psychologischen Faktoren liegen bisher nur wenige Studien vor. Diese zeigen aber, dass Faktoren wie religiöse Einstellungen, die Bedeutung von Elternschaft oder Einstellungen zur Behandlung eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, die Entscheidung für medizinische Hilfesuche und besonders die verschiedenen Etappen von der ersten Beratung bis zur Umsetzung der medizinischen Behandlung zu verstehen.

Die vorhandenen Untersuchungen belegen, dass das Zusammenspiel von ökonomischen, sozialen, kulturellen Faktoren sowie Einstellungen für das Verständnis, wer eine Behandlung bis zum Ende weiterführt und wer nicht, von großer Bedeutung sind. Deshalb bedarf es multivariater Untersuchungen, wobei die Modellentwicklung theoriebasiert erfolgen sollte und der nationale Kontext (Gesetzgebung, Kultur, Struktur des Gesundheitssystems) berücksichtigt werden sollte. Künftig bedarf es insbesondere mehr länder- und geschlechterübergreifender Vergleiche. Weiterhin sollte die Nutzung medizinischer Hilfe als Prozess verstanden werden, der mit Arztgesprächen und ersten Untersuchungen beginnt und nur in wenigen Fällen bis hin zur Nutzung reproduktionsmedizinischer Behandlungen wie In-Vitro-Fertilisation führt.

1. Passet-Wittig, Jasmin; Greil, Arthur L. (2021): Factors associated with medical help-seeking for infertility in developed countries: A narrative review of recent literature. In: Social Science & Medicine 277.

2. Passet-Wittig, Jasmin; Greil, Arthur L. (2021): On estimating the prevalence of use of medically assisted reproduction in developed countries: a critical review of recent literature. In: Human Reproduction Open, No. 1, pp. 1–18.

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