Veranstaltung "BiB informiert" 2022 | 24.01.2022Zwei Jahre Pandemie im Spiegel der BiB-Forschung
Die Corona-Pandemie beeinflusst das demografische Geschehen national und global. Wie unterschiedliche Bereiche betroffen sind, zeigten ausgewählte Forschungsbefunde des BiB bei der Onlineveranstaltung „BiB informiert“ am 18. Januar 2022. In den letzten Jahren untersuchten Forschende des BiB – gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Institutionen – die Auswirkungen der Pandemie auf das Wohlbefinden von Familien, die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen sowie die Folgen für die Binnenwanderung in Deutschland. Darüber hinaus wurden Befunde zur globalen Bevölkerungsentwicklung sowie zum Aus- und Rückwanderungsgeschehen in Deutschland vorgestellt. Die jährlich stattfindende Veranstaltung richtet sich an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden und Ministerien, die an demografischen Themen Interesse haben.
Veränderungen im Wohlbefinden der Familien seit Beginn der Pandemie
Wie sehr die Pandemie sich auf das Wohlbefinden in Familien ausgewirkt hat, machte BiB-Direktorin Prof. Dr. C. Katharina Spieß deutlich. So hatten insbesondere die Kita- und Schulschließungen während des ersten Lockdowns 2020 einen deutlichen Rückgang der allgemeinen Lebenszufriedenheit bei Eltern zur Folge. Dieser fiel bei Eltern mit jungen Kindern und niedriger Bildung deutlich stärker aus.
Mit der Beendigung der Kita- und Schulschließungen im Zeitraum zwischen April und Oktober 2021 sind die Eltern mit ihrem Leben im Allgemeinen wieder zufriedener. Besonders erholt haben sich Eltern von Grundschulkindern und mit einem niedrigen Bildungshintergrund. Während des Pandemieverlaufs machten sie sich große Sorgen um die Bildung ihrer Kinder, die im Zuge der Öffnung von Kitas und Schulen besonders bei Eltern mit niedriger Bildung wieder abnahmen.
Die Befunde machen deutlich, dass vor allem diese Gruppen in den Blick genommen werden müssen und durch niederschwellige Angebote gefördert werden sollten, betonte Prof. Dr. Spieß.
Zunahme depressiver Symptome unter Jugendlichen
Die Pandemie hat auch die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in hohem Maße beeinträchtigt, wie PD Dr. Martin Bujard erläuterte. Die Belastungen resultieren aus einem Zusammenwirken verschiedener Faktoren wie der Pandemie selber, den Schulschließungen und weiteren Maßnahmen zur Kontaktreduzierung.
Eigene Analysen des BiB belegen, dass der Anteil der 16- bis 19-Jährigen mit klinisch relevanten depressiven Symptomen nach Selbsteinschätzungen in der Endphase der ersten Lockdowns von 10 Prozent vor der Pandemie auf 25 Prozent angestiegen ist. Dies gilt besonders für die Mädchen, hier hat sich der Anteil verdreifacht und bei den Jungen verdoppelt. Rechnet man die Zahlen hoch, so sind 477.000 Jugendliche zusätzlich durch die Pandemie betroffen, analysierte der Wissenschaftler.
Darüber hinaus sind auch die durchschnittlichen Lernzeiten deutlich zurückgegangen. Zudem leben viele Familien in engen Wohnverhältnissen, insbesondere in den größeren Städten. Etwa jedes vierte Kind kommt aus Familien aus bildungsfernen Haushalten oder solchen, die von einer anderen Muttersprache geprägt sind. Dort ist zu erwarten, dass die Auswirkungen der Schulschließungen auf die Lernrückstände besonders gravierend sind.
Jüngere ziehen in der Pandemie weniger um
Während der Pandemie kam es zu einem Rückgang der Umzüge, wie Dr. Nikola Sander zeigte. „Im Jahr 2019 sind 3,4 Prozent der Bevölkerung über Kreisgrenzen hinweg umgezogen. Dieser Anteil ist 2020 auf 3,22 Prozent zurückgegangen“, betonte sie. Die Pandemie hat die Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen am stärksten in ihrem Umzugsverhalten beeinflusst, während bei den älteren Altersgruppen kein oder nur ein geringer Rückgang zu verzeichnen war. „Vor allem die bildungs- und arbeitsbedingten Umzüge sind während der Pandemie zurückgegangen“, so die Wissenschaftlerin.
Suburbanisierungstrend: Stadt-Land-Wanderung ist angestiegen
Deutlich wird zudem, dass Corona zu einer Zunahme der Stadt-Land-Wanderung unter den 30- bis 49-Jährigen beigetragen hat, die nicht zuletzt auch durch die Ausweitung des Homeoffice in der Pandemie bedingt sein kann. So verloren 2019 die Großstädte 0,25 Prozent der Bevölkerung aufgrund der Stadt-(Um-)Land-Wanderung, im Jahr 2020 erhöhte sich der Verlust noch einmal auf -0,45 Prozent. Das Gros der Wanderungen findet dabei zwischen Großstädten und dem Umland statt.
Mehr Rückwanderung von im Ausland lebenden Deutschen 2020?
Auf der Grundlage erster Befunde des am BiB angesiedelten Projekts „German Emigration and Remigration Panel Study (GERPS)“ untersuchte eine Forschergruppe um Nils Witte (PhD), inwieweit sich die Pandemie auf das Rückwanderungsverhalten von Deutschen im Ausland ausgewirkt hat. Dabei existiert das Problem, dass sich der Zusammenhang zwischen der Pandemie und internationaler Migration normalerweise nicht untersuchen lässt, da für die meisten Länder keine quantitativen Daten verfügbar sind.
Für Deutschland erlaubt das GERPS-Projekt dank Befragungen im Winter vor der Pandemie und dann im Winter 2020/2021 den Rückschluss, dass es einen Zusammenhang zwischen Pandemie und Rückwanderungsverhalten nach Deutschland gibt: „Die Corona-Inzidenz in den Aufenthaltsländern korreliert positiv mit der Wahrscheinlichkeit der Rückwanderung“, so Witte. Dieser Befund bleibt auch dann bestehen, wenn Alternativerklärungen wie zum Beispiel die persönliche Situation, die wirtschaftliche Situation des Haushalts oder im Land bestehende Grundrechtseinschränkungen mitberücksichtigt werden. Dabei variiert der Zusammenhang je nach Corona-Situation in den untersuchten Ländern.
Pandemie wirkt sich auf viele demografische Faktoren global aus
Welche Folgen die Pandemie auf die globale Bevölkerungsentwicklung hat, machte Dr. Elke Loichinger am Beispiel der demografischen Parameter Fertilität, Sterblichkeit und internationale Migration deutlich. Demnach ist zwischen 1965 und 2020 das weltweite durchschnittliche Geburtenniveau von 5 auf 2,5 Kinder je Frau zurückgegangen. Welche Folgen die Pandemie auf das Geburtengeschehen hatte, lässt sich derzeit aufgrund der global stark variierenden Datenlage nur vermuten.
Der Blick auf die globale Entwicklung der Lebenserwartung zeigt, dass zwischen 1950-2020 die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen den Weltregionen zurückgegangen sind. Einer Studie der OECD zufolge hat sich die Lebenserwartung 2020 im Vergleich zu 2019 in 24 von 30 OECD-Ländern verringert. In Deutschland war der Rückgang zu anderen Ländern relativ gering, in den USA fiel er deutlich größer aus. Weltweit variiert das Infektions- und Sterblichkeitsrisiko zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen.
Die Entwicklung der internationalen Migration wurde vor allem durch Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wie die Beschränkung der globalen Mobilität beeinflusst mit unterschiedlichen Folgen für einzelne Länder. Für Länder wie Deutschland, in denen die Zuwanderung den negativen natürlichen Saldo ausgleicht, bedeutete die eingeschränkte Mobilität 2020 einen im Vergleich zu den Vorjahren niedrigeren Wanderungssaldo von rund 220.000 Personen und damit kein Bevölkerungswachstum 2020. Die mittelfristigen Auswirkungen der Pandemie auf die globale Bevölkerungsentwicklung sind derzeit nicht zuletzt aufgrund der unzureichenden Datenlagen in vielen Bereichen ungewiss, resümierte Dr. Loichinger.