Vielfältige Forschung | 30.04.2025Drei neue Dissertationen, drei Perspektiven
BiB-Wissenschaftlerinnen erforschen aktuelle Themen und zeigen in ihren Dissertationen die Vielseitigkeit der Bevölkerungsforschung. Sie analysieren, wie soziale Kompetenzen Löhne und Karrieren zukünftiger Fachkräfte beeinflussen, untersuchen Einstellungen zu Geschlechterrollen in Deutschland seit den 1980er Jahren und beleuchten die Auswirkungen von Geburten auf die Handlungsmacht von Frauen im Nahen Osten und in Nordafrika.
Wie beeinflussen soziale Kompetenzen die Karriere?
Nichtkognitive Fähigkeiten gewinnen in der Arbeitswelt an Bedeutung. Doch bringen Berufseinsteiger die Kompetenzen mit, die sich positiv auf ihre Karriere auswirken? Dieser Frage ist die Ökonomin Dr. Anna Daelen nachgegangen. Sie hat deutsche Verwaltungsdaten von Männern ausgewertet, die aufgrund von Einschulungsstichtagen ihr Abitur im Jahr vor oder nach der Aussetzung der Wehrpflicht gemacht haben.
Die Zeit im Zivildienst oder bei der Bundeswehr wirkt sich positiv auf das Einkommen aus und beeinflusst die Berufswahl. Zudem zeigt ihre Forschung, dass bestimmte Persönlichkeitseigenschaften die Produktivität im Job auch mindern können.
Dr. Anna Daelen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe „Bildung und Humanvermögen“
Quelle: © BiB
„Meine Dissertation beschäftigt sich mit der Frage, wie nichtkognitive Fähigkeiten Produktivität, Karrieren und Löhne beeinflussen. Nach dem Studium starten viele mit relativ wenig praktischer Erfahrung in den Beruf. Eine Ausnahme war der Wehrdienst: Männer mit Abitur, die aufgrund von Einschulungsstichtagen mit höherer Wahrscheinlichkeit gedient haben, verdienen später mehr und arbeiten eher in teamorientierten Berufen. Kurzum: Wehr- und Zivildienst scheinen soziale Fähigkeiten zu stärken. Am Beispiel von Unternehmensberatern zeige ich zudem, dass Durchhaltevermögen die Produktivität im Job untergraben kann – etwa weil Hartnäckige weniger Projekte starten und diese weniger effektiv verfolgen.“
Dissertation: Essays on Productivity, Personality, and Skills
Erster Teil: Did you serve? New evidence on the causal effect of conscription on wage in Germany
Zweiter Teil: Running against Windmills: Costly Perseverance in Long- and Short-Term Goal Pursuit (Abstract)
Zur Person: Anna Daelen
Was prägt unser Verständnis von Geschlechterrollen – und wie hat es sich verändert?
Individuelle und gesellschaftliche Vorstellungen über die Rollen von Frauen und Männern (Geschlechterideologien) beeinflussen Entscheidungen zu Beruf und Familie. Die Soziologin Dr. Leonie Kleinschrot hat die Entwicklung in den letzten 40 Jahren betrachtet.
Im Fokus stehen Einstellungen zur Erwerbstätigkeit von Müttern, regionale Unterschiede sowie der Einfluss von Sozialisation und Familienpolitik. Unter anderem zeigt sie anhand des familiendemografischen Panels FReDA, dass Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland weiterhin bestehen – mit abnehmender Tendenz.
Dr. Leonie Kleinschrot, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe „Familie“
Quelle: © BiB
„In meiner Dissertation habe ich untersucht, wie sich das Verständnis von Geschlechterrollen seit den 1980er Jahren in Ost- und Westdeutschland verändert hat. Heute sind egalitäre Normen am weitesten verbreitet – vor allem bei Frauen, höher Gebildeten und Menschen, deren Eltern keine traditionelle Arbeitsteilung vorgelebt haben. Gleichzeitig zeigen die Daten: Menschen in Westdeutschland haben nach wie vor traditionellere Auffassungen. Meine Ergebnisse legen nahe, dass gleichstellungsorientierte Politik sowie Wissen über die Folgen traditioneller Arbeitsteilung egalitäre Normen stärken können. Künftig werde ich erforschen, ob das Geschlechterrollenverständnis relevant ist für die Wahl einer bestimmten Partei.“
Dissertation: Gender Ideologies in East and West Germany: Studies on their Nature, Predictors and Trends from the 1980s to the early 2020s
Zur Person: Leonie Kleinschrot
Wie beeinflussen Geburten die Handlungsmacht von Frauen im Nahen Osten und in Nordafrika?
Trotz stark gesunkener Geburtenraten im Nahen Osten und in Nordafrika bleiben Mutterschaft und Ehe zentral für die gesellschaftliche Stellung von Frauen. Ein Paradox, das Soziologin Dr. Carmen Friedrich analysiert hat: Trotz gestiegener Bildungsabschlüsse berichten Frauen in dieser Region von geringer agency (Handlungsmacht), gemessen an der Beteiligung an Entscheidungen, finanzieller Autonomie und Bewegungsfreiheit.
Ihre Studie zeigt, dass Elternschaft insbesondere dort Handlungsspielräume für Frauen eröffnet, wo patriarchale Normen und geringe Bildungschancen vorherrschen.
Dr. Carmen Friedrich, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe „Fertilität“
Quelle: © BiB
„In meiner Dissertation habe ich den Zusammenhang zwischen Fertilität und der agency (Handlungsmacht) verheirateter Frauen im Nahen Osten und in Nordafrika untersucht. Dabei konnte ich zeigen, dass weitere Geburten die Handlungsmacht ägyptischer Frauen erhöhen, besonders bei gering gebildeten Frauen und in ländlichen Regionen. Dies liegt nicht nur an steigenden Haushaltsverantwortlichkeiten, sondern auch an einer verbesserten sozialen Stellung innerhalb der Ehe. Zudem habe ich herausgefunden, dass Frauen in Ägypten und Jordanien mit höherer Handlungsmacht ungewollte Geburten eher vermeiden können, jedoch nur, wenn sich der Ehemann nicht mehr Kinder wünscht. Dies unterstreicht die Bedeutung, Familienplanungsprogramme auf beide Geschlechter auszurichten.“
Dissertation: Women’s agency and fertility in the Middle East and North Africa
Zur Person: Carmen Friedrich