Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Berliner Demografiegespräch | 24.07.2025Fachkräftemangel in Deutschland

Die Zahl der Erwerbstätigen wird künftig weiter abnehmen. Über die Ursachen und die Strategien, die einer Verschärfung der Erwerbssituation entgegenwirken, diskutierten BiB-Wissenschaftler Harun Sulak, Christian Wingerter (Statistisches Bundesamt, Destatis), und Dr. Holger Seibert (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) am 16. Juli beim Berliner Demografiegespräch.

Das Arbeitskräfteangebot wird demografiebedingt in den nächsten Jahren deutlich sinken, da die sogenannten Babyboomer in den Ruhestand gehen. Damit stellt sich die Frage, mit welchen nichtdemografischen Stellschrauben darauf reagiert werden kann. Zu diesen zählen zum Beispiel die Aktivierung nicht erwerbstätiger Personen, der längere Verbleib älterer Menschen im Erwerbsleben, die Integration Zugewanderter in den Arbeitsmarkt oder die Ausweitung der Wochenarbeitszeit. Christian Wingerter (Destatis) beleuchtete in seinem Beitrag die aktuelle Situation mit Ergebnissen des Mikrozensus und der EU-Arbeitskräfteerhebung.

Stabilisierung des Arbeitskräfteangebots

Deutschland zählte 2024 zu den Ländern mit den höchsten Erwerbstätigenquoten in der Europäischen Union. In den vergangen 15 Jahren hat sich insbesondere die Erwerbstätigkeit der 55- bis unter 65-Jährigen um mehr als 20 Prozentpunkte erhöht. Trotzdem gehen die meisten Erwerbstätigen deutlich vor Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters in den Ruhestand. Gleichzeitig waren fast 17 Prozent der 66- und 67-Jährigen im vergangenen Jahr neben dem Bezug ihrer gesetzlichen Rente erwerbstätig. Eine wichtige zu aktivierende Gruppe waren 2024 die knapp 3,1 Millionen Personen in der stillen Reserve, die sich prinzipiell Arbeit wünschen, aber kurzfristig keine Tätigkeit aufnehmen konnten beziehungsweise nicht aktiv danach suchten. Menschen mit Einwanderungsgeschichte stellen bereits jetzt mit mehr als jeder vierten Erwerbsperson (27 Prozent) einen größeren Teil des Arbeitskräfteangebots. Bei den Jüngeren ist der Anteil noch größer. Allerdings liegt ihre Erwerbsbeteiligung in einzelnen Altersgruppen noch deutlich unter derjenigen der Bevölkerung ohne Einwanderungsgeschichte.

Bildungsgruppen und Erwerbstätigkeit

Für die Erwerbsbeteiligung und das Erwerbspotenzial spielt das Bildungsniveau eine entscheidende Rolle, wie Harun Sulak (BiB) anhand des Mikrozensus verdeutlichte. So unterscheidet sich die Erwerbstätigenquote (also der Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter) vor allem bei Personen mit mittlerer und niedriger Bildung. Bei Frauen im Alter von 30 bis 60 Jahren mit mittlerer und hoher Bildung sind über 80 Prozent erwerbstätig, bei Frauen mit niedriger Bildung im Durchschnitt zwischen 50 und 60 Prozent.

Verglichen mit Frauen, haben Männer durchschnittlich eine höhere Erwerbstätigenquote. Unterschiede aufgrund des Bildungsniveaus zeigen sich zwar grundsätzlich auch bei Männern – auch hier ist die Erwerbsquote bei niedriger Bildung geringer – sie sind jedoch weniger ausgeprägt als bei Frauen. Wenn Männer erwerbstätig sind, arbeiten sie größtenteils in Vollzeit. Grundsätzlich gibt es eine sehr starke Zunahme der Erwerbstätigenquote bei den 60- bis 64-Jährigen. Allerdings fallen die Erwerbstätigenquoten und Wochenarbeitszeiten deutlich vor der Regelaltersgrenze ab. Ab einem Alter von 62 beziehungsweise 63 Jahren gehen die Erwerbstätigenquoten bei beiden Geschlechtern stark nach unten. Hier gibt es noch Potenzial zur Ausweitung des Erwerbsvolumens. „Entscheidenden Einfluss hat aber das Bildungsniveau. So ist das Erwerbsvolumen Hochgebildeter im Alter nahezu doppelt so hoch im Vergleich zu Personen mit niedriger Bildung“, betonte Sulak. Weitere Stellschrauben zur Hebung des Potenzials sind eine schnellere Arbeitsmarktintegration von Zugewanderten sowie die Einbeziehung weiterer bislang nicht genutzter Erwerbspotenziale.

Ausländische Beschäftigte spielen eine bedeutende Rolle

Dr. Holger Seibert vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gab auf Basis der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit einen Überblick zur Altersstruktur der Beschäftigten in den Regionen und zu den unterschiedlichen Anforderungsniveaus. Er wies darauf hin, dass der demografische Wandel regional, nach Anforderungsniveau und Berufssegment auf dem Arbeitsmarkt unterschiedlich stark spürbar sein wird. Demnach wird es Nachwuchsprobleme vor allem außerhalb der Großstädte und in Ostdeutschland geben. Ausländische Arbeitskräfte spielen eine immer wichtigere Rolle für die Abfederung der demografischen Herausforderungen, denn: „Keine nachrückende Alterskohorte wird jemals größer sein als die der Boomer. Sie sind künftig deutlich kleiner. Dies gilt vor allem auf Helfer- und Fachkraftniveau und in besonderem Maße auch für Ostdeutschland“, betonte Dr. Seibert. Hier dürften allerdings niedrigere Lohnaussichten und die stärker ausgeprägte ablehnende Einstellung gegenüber Menschen, die als „fremd“ wahrgenommen werden, eine bedarfsgerechte Arbeitsmarktzuwanderung erschweren.

In den jungen Altersgruppen zeigt sich eine noch sehr geringe Erwerbsbeteiligung. Bei den Jüngeren haben die ausländischen Beschäftigten einen deutlich höheren Anteil und tragen zu einer gewissen Beschäftigungsstabilität bei. Die gilt stärker für die Großstädte, hier findet man deutlich mehr jüngere Menschen und mehr ausländische Beschäftigte (als?) in Westdeutschland. In Ostdeutschland ist der Anteil wesentlich geringer. „Ohne ausländische Beschäftigte wäre der demografische Druck besonders in Ostdeutschland deutlich höher“, erklärte Dr. Seibert.

Hintergrund

Die Vortragsreihe „Berliner Demografiegespräche“ ist ein gemeinsames Format des BiB und der Hauptstadtkommunikation des Statistischen Bundesamtes. Die Reihe richtet sich an Interessierte aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung und informiert über Erkenntnisse aus amtlicher Statistik und Forschung.