Pressemitteilung | 24.09.2025Lebenserwartung in Europa: Deutliche Unterschiede zwischen benachbarten Grenzregionen
Der europäische Integrationsprozess zielt auch darauf ab, die wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen in den Mitgliedstaaten einander anzugleichen. Dies sollte dazu beitragen, Unterschiede in der Lebenserwartung zu reduzieren. Eine aktuelle Studie mit Beteiligung von Wissenschaftlern des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) betrachtet die Entwicklung der Lebenserwartung in westeuropäischen Grenzregionen.
Diese Grenzregionen sind oft durch engen kulturellen Austausch und vergleichbare sozioökonomische Strukturen geprägt. Daher sollten dort Angleichungsprozesse besonders stark wirken. Das Ergebnis der Studie: Zwischen Grenzregionen benachbarter Länder bestehen deutliche Unterschiede, die sich über die Zeit hinweg zudem oft als sehr stabil erweisen. Diese grenzüberschreitenden Differenzen in der Lebenserwartung fielen häufig sogar größer aus als die Unterschiede zwischen Grenzregionen und anderen Regionen innerhalb desselben Landes. „Die Befunde deuten darauf hin, dass nationale Rahmenbedingungen weiterhin einen starken Einfluss auf regionale Sterblichkeitsunterschiede in Europa haben“, erklärt Dr. Pavel Grigoriev, Mitautor der Studie und Leiter der Forschungsgruppe ‚Mortalität‘ am BiB. Für die Untersuchung wurden Daten aus 277 westeuropäischen grenznahen Regionen im Zeitraum von 1995 bis 2019 ausgewertet. Der Zeitraum der Coronapandemie blieb unberücksichtigt, um langfristige Tendenzen erfassen zu können.
Deutsche Grenzregionen fallen gegenüber benachbarten Grenzregionen zurück
Für Deutschland zeigt sich, dass die Lebenserwartung in den Grenzregionen der westeuropäischen Nachbarländer vielfach höher ist als in den direkt angrenzenden deutschen Gebieten. Besonders deutlich wird dies im Vergleich mit der Schweiz: Männer, die in Grenznähe auf deutscher Seite leben, haben im Schnitt eine um 2,2 Jahre geringere Lebenserwartung als Schweizer im Grenzraum zu Deutschland. Ein ähnliches Bild zeigt sich an der Grenze zu den Niederlanden und Dänemark, wo deutsche Männer im Schnitt eine um 1,8 Jahre niedrigere Lebenserwartung verzeichnen. Bei den Frauen treten die größten Unterschiede im Vergleich zu Frankreich (-1,5 Jahre), der Schweiz (-1,4 Jahre) und Dänemark (-1,1 Jahre) auf.
Quelle: © BiB
Bei all diesen Nachbarländern weisen die Regionen beidseits der Grenze eine ähnliche sozioökonomische Bevölkerungsstruktur auf – im Fall der Schweiz wird auf beiden Seiten der Grenze sogar die gleiche Sprache gesprochen und es besteht ein enger Austausch etwa in Form von Pendelverflechtungen. „Umso bemerkenswerter ist es, dass entlang der deutsch-schweizerischen Grenze deutliche Unterschiede in der Lebenserwartung bestehen“, sagt Dr. Michael Mühlichen, Mitautor der Studie. Der Rückstand der deutschen Grenzregionen im Vergleich zu ihren benachbarten Gebieten im Westen, Norden und Süden ist in den letzten Jahrzehnten sogar angestiegen. Die Grenzräume zu Polen und Tschechien wurden in der Studie nicht betrachtet.
Dieser Text basiert auf folgender Publikation: Stroisch, Sophie; Grigoriev, Pavel; Mühlichen, Michael; Hrzic, Rok; Vogt, Tobias (2025): Getting closer to each other? Convergence and divergence patterns of life expectancy in 277 border regions of Western Europe 1995–2019. European Journal of Epidemiology (online first): 1–13.